Interview mit dem Wertungsrichtersprecher Jörg Damis
Du bist seit vielen Jahren im Garde- und Schautanzsport aktiv, was hat dich damals an diesem Sport fasziniert?
Ich war als Kind vorher nur im Turnen, hab Handball gespielt und bin geschwommen und konnte mich nicht so richtig entscheiden. Dann bin ich in einen Karnevalsverein gekommen und daran haben mich die turnerischen Elemente des Karnevals in der Kombination mit dem Mannschaftssport fasziniert.
Was hast du früher selber getanzt?
Marsch, Gardetanz Solo, Gardetanz Paar, Polka, Charakter und Modern
Wie würdest du den Garde- und Schautanzsport jemandem beschreiben, der noch nie eine Meisterschaft gesehen hat?
Ich würde das tatsächlich beschreiben als die sportliche Variante des karnevalistischen Tanzens und mittlerweile kombiniert mit turnerischen Elementen.Die Grundlagen entspringen aus dem klassischen Ballett.
Mittlerweile bist du schon viele Jahre als Wertungsrichter aktiv, kannst du dich noch an deine erste Wertung erinnern?
Ja ich kann mich sehr gut daran erinnern. Ich habemeine Wertungsrichterprüfung abgelegt und bin zu meinem ersten Aspiranteneinsatz auf ein Turnier nach Speyer gefahren. Ich bin damals morgens ganz unbedarft in den Wertungsrichterraum gekommen, wobei mir dann mitgeteilt wurde, dass leider 2 Wertungsrichter ausgefallen sind und ich deswegen keine Aspirantenzeit hätte und direkt eingesetzt werde. Meine erste Wertung war dann für den Kevin Ulrich in der Schülerklasse Gardertanz Solo - ich weiß sogar noch, dass es eine 90 war.
Was sind die größten Herausforderungen in deiner Rolle als Sprecher der Wertungsrichter?
Als größte Herausforderung würde ich definieren, das Team an einem Tag oder auch über die komplette Saison hin motiviert und zusammen zu halten. Dabei verschiedene Charaktere unter einen Hut zu bringen und die Balance zu halten zwischen den Bedürfnissen der Teilnehmer oder auch der Zuschauer eines Turniers, den Vorgaben des Verbandes und den Anliegen der Wertungsrichtern - mit dem Versuch allen gerecht zu werden.
Wie schafft man es bei gut 100 Tänzen am Tag, knapp 200 Tänzen an einem Wochenende hinweg, konzentriert und fair zu bleiben?
Im Grunde, finde ich, lernt man das relativ gut mit der Zeit. Ich vergleiche das ganz gerne mit dem Auto fahren: also man macht seinen Führerschein - im Grunde kann man da ja aber noch nicht Auto fahren - aber man hat die Grundlagen geschaffen und lernt das dann während man mehr Auto fährt. Als Wertungsrichter ist es ähnlich, man eignet sich ein schematisches Vorgehen und einen entsprechenden Blick dafür an die Hand und "arbeitet" die Tänze dann nacheinander ab. Natürlich ist es so, dass jeder mal nach einem 12h Turniertag ein Konzentrationsloch hat - wir versuchen das im Verband durch entsprechende Pausen für die Wertungsrichter entspannter zu gestallten, so ass sie sich auch kurz erholen können. Aber im Grunde genommen, macht es für einen Wertungsrichter keinen Unterschied ob ein Tanz morgens um 9:00 Uhr oder abends um 22:00 Uhr auf die Bühne geht.
Was macht für dich einen guten Wertungsrichter aus?
Einen guten Wertungsrichter macht für mich aus, dass es jemand ist, der sich stetig weiterentwickelt - denn auch unsere Sportart und unsere Trainer entwickeln sich weiter. Der sich offen gegenüber jeder Darbietung zeigt und keine Erwartungshaltung hat.
Wie gehst du mit Kritik um, sowohl von außerhalb als auch von innerhalb der Wertungsrichter? Im Bezug auf das Fachliche Handeln der Wertungsrichter.
Also ich versuche eigentlich immer, dass ich mir erst mal beide Seiten anhöre, so dass man dann möglichst gut herausarbeiten kann, woher die Unzufriedenheit kommt. Natürlich ist es gerade bei Unstimmigkeiten zwischen Trainern und Wertungsrichtern so, dass hier teilweise schon komplett unterschiedliche Blickwinkel gegeben sind. Daher ist es wichtig, das Ganze auf die Sachebene zu bringen und die Emotionen so gut es geht außen vor zu lassen - das gelingt nicht immer - aber das sollte das Ziel sein, um ein Gespräch zu führen.
Gibt es eine Anekdote aus deiner Laufbahn als Wertungsrichter, die dir immer im Gedächtnis bleiben wird?
Ja da gibt es tatsächlich ganz viele und da ist es auch wie im normalen Leben, das sind gerade so Unfälle, die passieren, wie eine Kaffeetasse wird verschütten oder es fällt jemand vom Podest - das sind Dinge die bleiben einem einfach im Gedächtnis. Es ist noch garnicht so lange her, da hatte ich selbst einen unkontrollierten Lachanfall auf einem Turnier, weil einem anderen Wertungsrichter ein Missgeschick passiert ist - aber gerade diese Situationen und Momente zeigen ja auch, dass wir keine Computer und auch nur Menschen sind. Aber ja da sammelt sich vieles an Erinnerungen über die Jahre an.
Was ist das Ziel der Wertungsrichterpflichtschulung und was sollen die Teilnehmenden mitnehmen?
Das Ziel sollte es sein in der Basis einen gemeinsamen Blick und ein gleichwertiges Verständnis unseres Regelwerks zu bekommen. Da ja jeder Wertungsrichter mit einem anderen Schwerpunkt in sein Amt kommt - nicht nur Schau- oder Gardetanz lastig, sondern manche waren oder sind aktive Tänzer, andere Trainer, der nächste macht schon seit vielen Jahren garnichts mehr in die Richtung - also wird hier ein möglichst gleicher Ausgangspunkt geschaffen.
Wie hat sich die Ausbildung als Wertungsrichter die letzten Jahre verändert? Hat sie sich überhaupt verändert?
Ja die hat sich sehr verändert. Ich sag mal vor meiner Zeit, also ganz ganz früher, gabs im Grunde genommen keine Ausbildung. Da hat man Leute gesucht, die ein wenig geschult wurden und dann waren die irgendwann Wertungsrichter. Dann wurde das irgendwann auf professionellere Füße gestellt: Man hat den Trainerschein (C-Lizenz) als Voraussetzung gemacht, die Ausbildung etwas ausgedehnt, eine Prüfung und auch die Aspirantenzeit eingeführt. Mittlerweile haben wir natürlich auch viel mehr Disziplinen als früher und auch die Anforderungen an einen Wertungsrichter sind extrem gestiegen, daher musste sich die Ausbildung auch weiterentwickeln.
Gibt es AHA-Momente, die du immer wieder in diesen Schulungen beobachtest?
Ja die gibt es immer wieder - auch das wie im normalen Leben - man trifft auf Menschen, die im ersten Moment einen ruhigen und eher zurückhaltenden Eindruck machen. Die sich dann aber in den Schulungen und kleineren Gruppen sehr gut einbringen. Da hat man durchaus oft einen AHA-Moment, dass sich Menschen, denen man auf den ersten Blick garnicht so viel zutraut, doch sich sehr gut anstellen in Schulungen und sich einbringen. Ich mach das jetzt weit über 20 Jahre und man lernt auf jeder Schulung immer wieder was dazu und hinterfragt seine eigene Wahrnehmung durch andere Sichtweisen. Es ist auch immer ein „voneinander“ lernen, durch den Austausch in den Schulungen.
Wie geht der DVG mit dem Thema Transparenz in den Wertungen um?
Also ich hab auch schon in anderen Verbänden gewertet und der DVG ist da meiner Meinung nach der Vorreiter auf diesem Gebiet: Man kennt den Namen des Wertungsrichter, welcher sogar mit Bild an der Anzeigetafel gezeigt wird, jeder Tanz bekommt einen Wertungsbogen mit einzelnen Kategorien, in denen man genau sieht, wie viel Punkte in dem jeweiligen Feld erreicht wurden - und nicht eine Mischkalkulation oder ähnliches. Es wird immer offen gewertet, es gibt keinerlei Turniermöglichkeit wo verdeckt gewertet wird und nur das Endergebnis durch eine Platzierung bekannt gegeben wird, wie bei anderen Verbänden. Dazu kommt, dass man sogar die Möglichkeit hat an einem Turniertag sich zusätzliche Informationen zu holen, indem man, bei dem eingesetzten Tagesvorsitz zusätzliche Auskünfte zu den Punktierungen seines Tanzes erfragen kann. Das ist definitiv einmalig und da ist der DVG auf einem sehr guten Weg. Auch wenn diese Transparenz dazu führt, dass oft missverstanden wird, wenn sich die 5 Wertungsrichter nicht einig sind und dann hinterfragt wird, wie das sein kann, das solche Diskrepanzen entstehen. Aber dafür sind wir ja auch 5 Wertungsrichter und auch hier sind wir immer noch Menschen, die mit verschiedenen Gedanken, Voraussetzungen und Gewichtungen an eine Wertung gehen. Genau dafür gibt es auch das Streichprinzip (höchste und niedrigste Wertungen werden gestrichen).
Kannst du dir vorstellen, dass in Zukunft künstliche Intelligenz oder digitale Unterstützung bei der Wertung eine Rolle spielt, oder bleib das reines Menschenwerk?
Also digitale Unterstützung haben wir bereits durch unser EWS - System, was ich sehr sehr gut finde. Wir sind natürlich eine Sportart, die sehr viel mit Botschaft und Emotionen zu tun hat - sowie jede Bühnenshow. Daher sehe ich es eher schwierig, dass das eine KI mit bewertet. Wo ich mir das durchaus vorstellen könnte, wäre es die KI bei messbaren Kriterien wie den Auswahlelementen, sie bei technischen Ausführungsfehlern oder bei der Bühnenaufteilung mit einzubeziehen. Da probiert man ja gerade auch viel in anderen Sportarten aus, gerade im Eiskunstlauf wird da ja viel gemacht. In den ganzen Themen wie Ausführung, Präsentation, Choreografie und den künstlerischen Kategorien sehe ich das aber eher schwierig. Die künstlerischen Komponenten können meines Erachtens derzeit nicht von einer KI beurteilt werden.
Wenn du dir etwas für die Zukunft des Wertens wünschen könntest, was wäre das?
Mehr Wertungsrichter! Kürzere Turniertage und wenn man ein bisschen mehr Zeit hätte bei seiner Wertung - denn im Grunde hat ein Wertungsrichter max. 60 sec. Zeit, um seine Wertung abzugeben und kann dann dort nichts mehr daran ändern. Also ich würde mir manchmal wünschen, dass wir etwas mehr Zeit und Ruhe in die Turniere bekommen würden.
Drei Worte die den DVG für dich beschreiben:
Ich würde sagen, drei Worte, die den DVG für mich beschreiben sind: Spaß - Emotionen - beeindruckende sportliche Leistung.
Welcher Moment auf einer Meisterschaft ist für dich pure Gänsehaut?
Für mich ist tatsächlich pure Gänsehaut nicht, wenn sich ein Verein über seinen Titel freut - das ist schön, wenn da die Freude rauskommt. Aber für mich ist tatsächlich das Schönste, wenn Aktive die Leistung so abrufen konnten, wie sie sich es gewünscht haben und man Ihnen das unmittelbar im Schlussbild ansieht, dass das heute der beste Tanz der Saison war. Diese spürbare Freude und Erleichterung finde ich für alle Beteiligten toll.
Vielen Dank für den Austausch und den Einblick den du uns aus deiner Sicht gegeben hast.
Redaktion: Maximilian Biehler & Franziska Lehn